Muss man nicht auch «auf der Strasse» aufpassen, nicht instrumentalisiert zu werden? Menschen, die sehr sympathisch scheinen, bringen vielleicht am nächsten Tag die Leute im Nachbardorf um, überspitzt gesagt.
Man darf nicht naiv sein. Es braucht, wie die Amerikaner sagen, eine gewisse «Street Credibility». Aber ich könnte nicht von mir behaupten, dass ich die Leute stets durchschaue. Mit dem Risiko, auch mal auf eine Geschichte reinzufallen, muss man leider leben. Letztes Jahr war ich mit Kurt Pelda in Syrien. Wir trafen sympathische Leute; sie sorgten für uns, wir hatten gute Diskussionen. Später habe ich am Fernsehen gesehen, dass dieselben Leute mittlerweile alle mit der Al-Qaida-Flagge herumfahren. In einem Bericht sah ich Extremisten, die Kriegsgefangene in ein Auto mit einer Bombe im Kofferraum setzten und ihnen vorgaukelten, es werde einen Austausch geben. Ich habe diese Leute erkannt. Sie waren damals sehr freundlich zu mir. Die Kriegsverbrechen, die dort begangen werden, sind schauderhaft. Die Schwierigkeit für Journalisten ist, die Distanz zu bewahren zu denjenigen, auf die man angewiesen ist. Das fängt damit an, sich einzugestehen, dass man nicht völlig unabhängig funktioniert. In meinen Bildgeschichten ergreife ich aber nie Partei; im Vordergrund steht ein anthropologisches Interesse. Ich möchte zeigen, wie Menschen mit schwierigsten Situationen umgehen.
Ist es nicht gefährlich, etwa einen Taliban sympathisch darzustellen?
Wenn man hier ein Porträt von einem CEO macht, weiss man auch nicht, ob dieser nicht korrupt ist oder mit Potentaten zusammenarbeitet. Die ganze Gesellschaft in Afghanistan oder Syrien zu durchschauen ist noch viel schwieriger. Man kann nicht für die Taliban sein. Aber was vorher da passiert ist, war wahrscheinlich noch schlimmer. Die Taliban waren am Anfang, 1986/87 hochwillkommen, weil sie der Kriminalität der Warlords Einhalt geboten. Dank des Internets zeigt sich jetzt immer stärker, dass vieles nicht so ist, wie es scheint. Das halte ich für eine gute Entwicklung; mit meinen Reportagen möchte ich an solchen Aufdeckungen teilhaben.